Sommergedanken von Pfarrer Karl Hesse

von Ev. Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten

Also, ich sag mal so: eigentlich habe ich mich immer auf den Zeugnistag gefreut. Der war definitiv ein Festtag!Gute und sehr gute Noten fielen mir leichter als vieles andere in der Schule und im Leben.Und außerdem war der Zeugnistag immer der Tag, an dem wir als Familie Auto packten, um in einen langen, langen Urlaub zu fahren. Großartig.Zugleich erinnere ich mich an Mitschüler und Mitschülerinnen, die ganz bleich waren oder einen roten Kopf hatten, Tränen in den Augen, hysterisch lachten, weil da ein „ungenügend“ stand, und mein Bauch ahnte, wieviel Angst, Chaos und unheilvolle Phantasie da gerade in diesen kleinen Körpern tobten. Zur Entkrampfung trug sicher auch nicht bei, dass wir einen Klassenlehrer hatten, der uns nach Notendurchschnittsranking nach vorne rief – wer wollte da schon als erstes gerufen werden?

Zeugnistag. Ein Blatt. Schwarz auf weiß, wie Du so kategorisiert und bewertet wirst. Manche Note war sicher auch zutreffend. Schlimm war ja eher das Gefühl, dass die eigene Lebenswertigkeit und das, was Dich selbst und andere im Leben trägt, genau auf diese Noten reduziert wurde.

Sind das Erinnerungen von einem, der im letzten Jahrhundert geboren wurde, und darum haben diese Erinnerungen ihre Gültigkeit für dieses Jahrhundert verloren? Wie gehen wir heute mit unseren Kindern um. Wie benoten wir sie und ihr Tun. Ich finde es schon auch wichtig, Ehrgeiz und Lernfreude und Ausprobierfreude positiv zu wecken und wach zu halten, dass ich immer wieder versuche, mein Bestes zu geben für die Menschen, mich selbst, Gott.

Aber nicht immer ist das dann gut oder sehr gut. Und dann? Weg mit Dir? Versetzung?

Geboren im letzten Jahrhundert habe ich ein Lied aus dem letzten Jahrhundert mitgebracht. Es heißt „Zeugnistag“ und stammt von Reinhard Mey. Es ist eine Hommage an Eltern, die lieben. Und Kinder, die als Kinder Liebe erfahren und sie darum erinnernd weitergeben. Wir sind Kinder. Von Eltern. Und Kinder Gottes. Jenseits aller Noten ist es Liebe, die Dich leben lässt und Dir sagt: Komm Kind, lass uns gehen. Hier hast du Zuflucht und Zukunft.

Foto: Michael Bokelmann

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