einwort

einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

All you need is love

von Ev. Kirchengemeinde Bottrop

Die Wissenschaft unterteilt sich in 11 Disziplinen.
Es gibt die Geistes-, Human- und Ingenieurwissenschaften, die
Natur-, Agrar- und Rechtswissenschaften, die Sozial-, Struktur- und
Wirtschaftswissenschaften, die Philosophie und die Theologie. Und es
gibt endlos viele wissenschaftliche Unterteilungen bis ins Molekül des
Lebens. Bloß für die Liebe gibt es keine ausgewiesene Wissenschaft.
Wieso eigentlich nicht?

 

Wissenschaften sind akademisch. Man muss forschen, ermitteln, belegen und widerlegen, um einem Problem, einer Aufgabe, einer Herausforderung auf den Grund zu gehen. Manchmal gibt es weltweit nur wenige Fachleute in einer Teil-Teil-Teildisziplin, in der Liebe gibt es Milliarden Fachmenschen. Jeder Mensch, der schon einmal geliebt hat, weiß, wie sich Liebe anfühlt. Das erhebt ihn zum Kenner. Dass die Liebe maximal subjektiv ist, ändert daran nichts. Jeder ist sein Liebeskenner. Universell ist diese Kompetenz indes nicht. Niemand kann das Gefühl eines anderen wirklich und wahrhaftig nachempfinden. Damit kommt das Gefühl der Sprache nah, die ihrerseits nur ein Versuch ist, Gedanken/Gefühle zu formulieren.

Verständnisbarrieren

Der Psychologe Karl Bühler hat in seinem Organonmodell (1934) versucht, unser sprechendes Miteinander zu erfassen, und ist schnell an Grenzen gestoßen. Demnach erlaubt uns die abstraktive Relevanz, völlige Klarheit zu haben, wenn wir ganz selbstverständlich sagen: „Guck mal, da fährt ein Feuerwehrauto.“ Wir wissen genau, was gemeint ist. Das Gegenüber sieht nichts, hört nur diesen Satz und greift auf seine eigenen Erfahrungen zurück – es ist das entgegengesetzte Prozedere der apperzeptiven Ergänzung. Der eine sagt ganz wenig und meint ganz viel, der andere hört ganz wenig und denkt sich seinen Teil. Die in beiden Köpfen entstehenden Bilder wollen deckungsgleich sein und sind es doch nie.

Das ewige Unwissen

Mit der Liebe ist es genauso. Wenn sich also zwei unterhalten und einer erwidert: „Oh ja, ich weiß ganz genau, was du meinst!“, dann ist das die alltäglichste wie irritierendste Antwort auf fast alles. Niemand kann jemals wissen, was ein anderer meint! Man kann es erahnen und/oder seine Erfahrungen formulieren, aber von Wissen fehlt jede Spur. Es ist beinahe ein dramatisches Dilemma, weil wir damit unweigerlich in unserer Gedankenwelt schrecklich – oder herrlich – alleine sind. Selbst Partner, die 50 Jahre nebeneinander einschliefen und friedvoll wieder aufwachten, wissen nicht, was der andere denkt. Es hat sich im besten Fall jedoch eine ehrliche Harmonie aus bekannten und unbekannten Tönen entwickelt. Das Seelenleben des Einzelnen bleibt derweil unantastbar.

Kunst des Liebens

Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Liebe keine explizite Wissenschaft besitzt oder ermöglicht. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass über die Liebe nicht ausufernd geforscht wurde und wird. Dabei braucht niemand zu befürchten, dass die Liebe in einer wissenschaftlichen Definition entzaubert oder banalisiert würde. Der deutsch-US-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm erklärte bereits 1956 in seinem Buch „Kunst des Liebens“: „Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe. Wäre das auf irgendeinem anderen Gebiet der Fall, so würde man alles daransetzen, die Gründe für den Fehlschlag herauszufinden und in Erfahrung zu bringen, wie man es besser machen könnte – oder man würde es aufgeben. Da Letzteres im Falle der Liebe unmöglich ist, scheint es doch nur einen richtigen Weg zu geben, um ein Scheitern zu vermeiden: Die Ursachen für dieses Scheitern herauszufinden und außerdem zu untersuchen, was Liebe eigentlich bedeutet.“

Zu Beginn einer Liebe spielen vor allem die Hormone Dopamin und Serotonin verrückt, später formen dann Oxytocin und Vasopressin aus dem rauschähnlichen Verliebtsein die alltagstaugliche ruhige Liebe. Forscher haben unsere Gehirnströme beim Flirten gemessen, haben uns beim Küssen durchleuchtet, beim Sex im Computertomografen in digitale Scheibchen geschnitten. Die Wissenschaft sucht unaufhörlich nach dem Geheimnis der Liebe. Vielleicht suchen sogar alle danach. Gut, ein Bauingenieur ist weit vom Feeling der Liebesdeutung entfernt und muss ja doch nur einen Gedankenschritt gehen, um die Zerbrechlichkeit eines Brückenbauwerks auf die sensible Welt der Liebe zu übertragen. Und der Mathematiker John Gottman fasste das Funktionsprinzip der Liebe in Zahlen. Sein Ergebnis: 5:1. Hatten Paare fünfmal mehr positive als negative Momente, waren sie glücklich. Basta. Ähnlich kann man alle Disziplinen in die Liebesforschung einbeziehen. Na gut, die einen mehr, die anderen weniger.

Ewige Triebfeder

Vor 41.000 Jahren begruben Neandertaler in La Ferrassie (heutiges Südfrankreich) ein verstorbenes zweijähriges Kind. Schon lange gingen Anthropologen davon aus, dass auch der Frühmensch derartige Kulturleistungen vollbrachte. Mittlerweile ist es bewiesen. Die Annahme liegt nahe, dass die Eltern des Neandertalerkleinkindes trauerten, ansonsten hätten sie es womöglich einfach liegengelassen. Die Trauer ist eine Kehrseite der Liebe. Liebe ist demnach älter als der moderne Mensch. Und es ist nur ein kleiner Schritt, jetzt auch den Sex einzubeziehen. Ohne Sex kein Leben – und umgekehrt. Und plötzlich wird die Liebe tatsächlich wissenschaftlich, lässt sich in Zahlen, Daten und Fakten verdichten und verliert zugleich nicht einen Deut an Faszination. Weil dieses ganz besondere Gefühl von Lieben und Geliebtwerden mysteriös stark ist. Es füllt Gedichtbände und Romane, ist Topthema im Kino, im Fernsehen und in der Musik, es ist die Triebfeder für fast alles. Und dennoch kann niemand erklären, was Liebe ist. „Ich liebe Dich!“ ist eine einzige Annahme. Es könnte wirklich Larifari sein, wenn die Liebe nicht so unumstößlich großartig wäre. Vivat, Amore! Lang lebe die Ahnungslosigkeit!

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M. Bokelmann (Öffentlichkeitsreferent)

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