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einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

Bot in Spe

von Ev. Kirchengemeinde Bottrop

Beim Blick vor die Haustür verschwimmen die Veränderungen der Umgebung, weil sie tagtäglich sichtbar sind. Unserer Wahrnehmung fehlen schlichtweg die Sprünge. Die schleichende Veränderung wird auf diese Weise alltäglich, bevor sie zum Alltag erwächst. Wer jedoch lange nicht hier war, wundert sich über eine sich wandelnde Stadt.

Welcher Bottroper hätte vor 30 Jahren vorhergesehen, dass auf einer Abraumhalde der Stadt in Kürze eine gigantische Pyramide aus 210 Tonnen Stahl stehen würde? Ein weithin sichtbares Geometriegerippe, das irgendwann mal zum wortwörtlichen Highlight der Region erwachsen würde? Eine Skihalle? Ein Filmpark? Eine Hochschule? Gar eine Stadt der Innovation und eine, durch die eine saubere Emscher fließt?

Aus der Gegenwart betrachtet klingt es irritierend und gewöhnlich zugleich, wie sehr sich Stadt, Region, ein ganzes Land in wenigen Jahrzehnten verändern. Auch wenn es Bauprojekte gibt, die langfristig geplant werden, offenbart doch erst ihre Realisierung, welchen Einfluss diese bauliche Veränderung auf das Leben vor Ort hat. Es ist wie ein neues Rezept, dessen Aromen sich allein in der Mixtur erschließen. Ob diese Melange wiederum schmeckt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Also erschließen wir uns Bottrop beispielhaft aus zwei Richtungen, betrachten die Hochschule und einen renaturierten Abwasserfluss und sehen uns an, wie planbar Zukunft ist – oder wie planlos.

Akademisches Lüftchen

Deutschlandweit gibt es derzeit 423 Hochschulen. Eine steht in Bottrop. Auch wenn sie als kooperatives System mit Mülheim an der Ruhr verschmolzen ist, steht sie hier in bester Lage als kupferfarbener Monolith und bereichert diese Stadt seit dem 1. September 2009 um eine akademische Kompetenz mit bundesweiter Duftnote. Sie darf nicht nur aufgrund ihrer matt schimmernden Hülle glänzen, hier blicken ForscherInnen auch in eine vielleicht glänzende Zukunft, die uns alle betrifft. Das Institut für Energiesysteme und Energiewirtschaft betrachtet dabei u. a. die Energienetze Deutschlands und geht der Frage nach, wie die Integration erneuerbarer Energiesysteme ins Netz funktionieren kann. Etwas griffiger formuliert überlegen die Wissenschaftler also, wie es möglich ist, Sonnenenergie für jeden dauerhaft verfügbar zu machen, auch wenn die Sonne nicht scheint. Gleiches gilt für die Windenergie bei Flaute. „Das alles hat limitierende Folgen für das Energiesystem. Wie man das aber trotzdem sinnvoll zusammenbringen kann, daran forschen wir“, erklärt Prof. Dr. Jens Paetzold, Leiter des Instituts. Seit 10 Jahren ist er in Bottrop aktiv und forscht zum Blackout – zum totalen Stromausfall, wenn schlichtweg nicht genug Strom da ist, um alle Steckdosen zu befüllen. Es ist ein riesiges Thema, an dem viele mitdiskutieren: Ökonomen, Energieunternehmen, PolitikerInnen, Umweltgruppen und natürlich auch eine breite Öffentlichkeit. Unlängst sollte der Hambacher Forst dem ausgezählten Braunkohletagebau weichen, und eine Nation lief Amok. Der Wasserkocher soll dennoch Teewasser erhitzen. Ein Dilemma? „Wie viele klassische Energiequellen brauchen wir noch? Und wie lange müssen sie als Schattenkraftwerk fungieren – quasi als Notstromaggregat, um einspringen zu können, wenn die Regenerativen nicht reichen?“, fragt sich auch Paetzold.

Gespeicherte Energie

Das alles sind europaweite Fragen, keine deutschen. Im Grunde gelten sie für die ganze Welt. Seit Jahrzehnten ist die Endlichkeit der fossilen Energieträger bekannt, und noch länger, dass ihre Verbrennung zum Klimawandel massiv beiträgt. Die großen Veränderungen lassen sich indes Zeit. Oftmals Jahrzehnte – mit dem Segen der verantwortlichen Politik. Was können also Bottrops ForscherInnen tun? Sie können forschen! Beispielsweise an Batterien, um die Energielücken zukünftig zu füllen. Und das tun sie auch. Sie liefern in vom Bund geförderten Forschungsprojekten Erkenntnisse, nahe an der Grundlagenforschung. Sie kümmern sich um zahllose Speicherdetails, die später einmal Wirkung zeigen. Eine Batterie bauen sie aber nicht. Dabei sind diese so wichtig. Die stärksten Batterien der Welt sind derzeit Pumpspeicherkraftwerke, bei denen gigantische Mengen Wasser von einem tieferliegenden See in einer höher liegenden See gepumpt werden – und zwar, wenn genug Strom da ist. Wird der Strom in der Steckdose knapp, fließt das Wasser von oben nach unten an mächtigen Generatoren vorbei, die wiederum Strom produzieren. Voilà – eine Batterie in XXL. Leider eine mit erheblichen Auswirkungen auf die Ökosysteme, weil dafür in der Regel natürliche Räume unwiederbringlich zerstört werden. Stattdessen ist der vorherrschende Energieträger der Zukunft derzeit das Gas. Irgendwie auch keine echte Lösung. Aber vielleicht kommen die Lösungen ja noch.

Verändertes Berufsleben

„Als ich anfing zu studieren – vor 35 Jahren – hätte ich nichts von dem, was ich heute tue, auch nur im Ansatz vorhersehen können“, gesteht Paetzold. Wie auch? Wer eine klassische Ausbildung macht, ist anschließend etwa 40 Jahre berufstätig. Die meisten Berufe verändern sich in dieser Zeit so sehr, dass die Tätigkeiten beim Einstieg ins Berufsleben kaum noch etwas mit denen beim Ausstieg zu tun haben.

Es ist auch eine Ansage an die Studierenden der Gegenwart: Was sie lernen, wird oftmals in wenigen Jahren überholt sein. Wichtiger ist aber, dass sie lernen, mit Fragestellungen umzugehen. Die Fragen werden sich ändern, der Weg zur Antwort kaum. „Wir haben wirklich alle Möglichkeiten, durch neue Entwicklungen die uns umgebenden Probleme zu lösen. Wir können es schaffen. Auch wenn es uns in der Geschichte nicht immer gelungen ist, diesem Ideal zu folgen.“ Das nennt man wohl mal Lokal-Realismus.

Szenenwechsel

Natürliches Abwassersystem

Spricht man über die globalen Umweltprobleme, sind sich die Fachleute quer durch die Disziplinen weitestgehend einig, dass sich die mannigfachen Folgen der Industrialisierung zu jenem Klimawandel formen, in dessen umwälzenden Folgen wir knöcheltief stecken. Ein Dilemma, das natürlich irgendwann mal begann: Bereits 1525 wurde eine sogenannte Kohlebank in Witten entdeckt. 1637 gab es die erste offizielle Zeche in der Region, 1856 eröffnete Prosper I – damals noch auf Borbecker Gebiet. Die Industrialisierung lief auf Hochtouren. Aus Landwirtschaft wurde Industriegebiet. Aus Einzelhöfen verdichtetes Wohnen. Bottrop wuchs in wenigen Jahrzehnten von einer kleinen Landgemeinde zur rund 60.000 Einwohner zählenden Bergbaustadt heran. Die Menschen lebten mit ihren Familien in viel zu kleinen Wohnungen, waren oftmals unterernährt, die hygienischen Bedingungen verheerend. Krankheiten wie Tuberkulose breiteten sich rasant aus. Neben vielen Problemen gab es auch einen Entwässerungsnotstand. Wohin mit den frischen Industrieabwässern? Wohin mit den menschlichen Abwässern? Bis 1899 wurden alle Abwässer nahezu ziel- und planlos in die nächstmöglichen Flüsse geleitet. Die Emscher mit ihren zahlreichen Nebenbächen, wie die Boye und die Berne auf Bottroper Gebiet, war ein natürliches Abwassersystem. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dann begründete der preußische Landtag die Emschergenossenschaft und zwang diese, das heillose Hygienechaos zu lösen. „Für das ökonomische Überleben Deutschlands war die Entscheidung, die Emscher als Abwasserfluss zu opfern, existenziell. Nur so konnten die Menschen im Ruhrgebiet weiterleben. Die hygienische Situation hätte man sonst nicht in den Griff bekommen“, erklärt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.

Fließender Gestank

Damals entstanden die berühmt-berüchtigten Betonsohlschalen, die die Emscher einfassten, kanalisierten und schneller machten. Das gesamte Abwasser wurde nun oberirdisch abgeleitet. Erste Kläranlagen reinigten ab Ende der 1920er Jahre immerhin vor, bevor der einstmals dreckigste Fluss Deutschlands in den Rhein eingeleitet wurde. So blieb es – lange. Fast jeder, der irgendwann mal die Emscher in Zeitlupe querte, erinnert sich an ihren gnadenlosen Gestank. Es war wirklich eine irre Kloake aus Industriedreck und menschlichen Abfällen.

Idylle pur

Und nun kniet sich Paetzel nieder und fischt mit der Hand durch das klare Wasser des von Grün eingerahmten Borbecker Mühlenbachs – wie Boye und Berne ein ehemals verdreckter Nebenfluss der Emscher. Es ist beinahe irritierend, weil dieses idyllische Stückchen Natur zwei Gehminuten vom Rhein-Ruhr-Zentrum an der Grenze zwischen Mülheim und Essen verläuft. Bebautes Gebiet, Mietwohnungen, ein schmaler Grünstreifen, den Jogger nutzen – und Hundebesitzer. Jeder Besucher kann hier bis ans ruhig fließende Ufer gehen und sich wundern. Bereits 150 Kilometer Flusslandschaft sind derart renaturiert. Aus Schmutzwasserablauf wird wieder Bach. 1992 begannen im Rahmen der IBA, der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, die Arbeiten an diesem Mammutprojekt. In genau 30 Jahren sollte die stinkende Emscher in einem unterirdischen Abwasserkanal verlaufen.

Teurer Leuchtturm

5,5 Milliarden Euro verschlingt dieses weltweit nicht nur einmalige, sondern auch mit großem internationalen Interesse verfolgte Projekt. Nirgendwo gab es bisher einen derart ambitionierten Versuch, wieder gut zu machen, was Generationen vor uns so gravierend verändert haben. Es ist ein Leuchtturmprojekt für alle Industrienationen, mit beeindruckenden Fakten.

  • Zwischen Dortmund und Dinslaken verläuft bereits heute der 51 km lange Abwasserkanal Emscher aus Stahlbeton-Rohren mit Innendurchmessern zwischen 1,60 und 2,80 Meter.
  • Drei Pumpwerke heben das Abwasser aus dem Abwasserkanal Emscher und vier dezentrale Klärwerke reinigen das Wasser bis zur Einleitung in den Rhein.
  • Rund 180 km Flussläufe werden noch renaturiert.
  • Es entstanden bis 2021 über 200 km Radwege und echte Naherholung.

So ziemlich alle Gewässerlebewesen, die ehemals in der Emscher lebten, sind durch die Nutzung als Abwasserlauf verschwunden. Es gibt aber einen Oberlauf in der Bottroper Boye, der nie mit Abwasser verschmutzt wurde. „Das ist ein Glückstreffer, weil dort eine Fischart 140 Jahre überlebte, die sonst an keiner anderen Stelle mehr im Emschergebiet vorkommt – die Groppe. Wir nennen den Fisch, der von Experten der Uni Köln erforscht wird, symbolhaft ‚Emschergroppe′, da er wieder in die renaturierten Flüsse zurückkehrt und für den ökologischen Erfolg des Emscher-Umbaus steht.“

Alternativloser Plan

Und wozu der ganze Aufwand? Spätestens jetzt blickt man von den Fehlern der Vergangenheit in die Zukunft und kommt zu einer einfachen Antwort: Weil es so einfach nicht mehr weiter- ging und -geht. Das Bewusstsein für die Natur spielt heute eine zentrale Rolle, weil der Blick in die Zukunft düster wird, wenn man sich die Konsequenzen einer verschmutzten Welt ansieht.

Der Beginn der Industrialisierung wird etwa ins Jahr 1830 datiert – viel Zeit, um in endlos vielen menschengemachten Umweltsünden das natürliche System dieser einen Erde auszuhebeln. Wie gesagt – wir sind mittendrin, die Konsequenzen zu (er)leben. Auch wenn die Kosten für die Renaturierung der Emscher gigantisch scheinen, sie sind ein Nichts im Vergleich zu den Summen, die die Menschheit in die Hand nehmen müsste, um die ökologischen Vergehen der Vergangenheit für eine lebenswerte Zukunft zu garantieren.

Und doch gilt: Ein langer Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Jene Renaturierung eines Industrieflusses, die auch Bottrop ein gutes Stück alte Natur neu beschert, ist superb. Bottrop ist – nach Remscheid – die zweitkleinste Großstadt in NRW. Dafür passiert hier eine ganze Menge auf dem Weg in die Zukunft.

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