einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.
von Ev. Kirchengemeinde Bottrop
Schwarzweiße Denkmuster sind bequem. Lösung A ist richtig, Lösung
B ist falsch. Ein Verhalten ist richtig, ein anderes falsch. Diskussionen,
Streit, Kriege. Wie kommt es nur, dass wir so leidenschaftlich
denkfaul sind?
Schrödingers Katze ist ein Denkmodell. Da sitzt eine Katze zusammen mit einem Fläschchen Gift in einem geschlossenen Karton. Der Betrachter steht außerhalb und rätselt nun, ob die Katze schon tot oder noch lebendig ist. Strenggenommen ist sie – dem Modell folgend – beides. Weil beides möglich ist. Niemand kann es sehen, damit kann niemand den innenliegenden Versuchsaufbau beobachten. Man kann nichts beweisen, man kann nichts widerlegen. Natürlich ist die Katze nur eine Übertragung, denn im Grunde ging es um ein fassbares Beispiel zur Beschreibung eines Problems der Quantenmechanik, ob Licht nun aus Teilchen oder Wellen bestünde. Darüber stritten die beiden Physiker Schrödinger und Bohr vortrefflich und kamen zum Schluss, dass beides stimmt. Licht ist ein Teilchen und eine Wellenlänge. Die Katze ist tot und lebendig. Es ist ein Paradebeispiel für die beschränkte Gültigkeit binärer Denkmodelle. Nicht nur die Naturwissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten endlose Male feststellen müssen, dass alte Theorien einer einfachen Sortierung nicht mehr funktionieren. Die Welt ist – ob man will oder nicht – bunter als schwarzweiß.
Dabei fing es so geistreich an, als Aristoteles seinen berühmten Satz vom Widerspruch formulierte: Es kann nicht zur selben Zeit am selben Ort das eine sein und nicht sein. Im Grunde heißt das nichts anderes als, es kann etwas nicht richtig und falsch zugleich sein. Damit ist der große Grieche ein offizieller Begründer unseres so zweifelhaft selbstverständlichen Schwarzweiß-Denkens. Zumindest hat er es als Erster präzise formuliert. „Der Idee folgend gibt es genau eine Wahrheit. Darum ist dieses Entweder-oder-Denken die Grundlage aller Konflikte und die Grundlage aller großen Kriege. Auch die ersten Kreuzzüge drehten sich um die Entweder- oder-Frage, denn es konnte nur einen Gott geben“, erklärt der bundesweit anerkannte, systemisch orientierte Psychotherapeut Dr. Wilhelm Rotthaus. Rotthaus hat rund 25 Bücher über Menschen in Systemen geschrieben. Auch Familien sind Systeme – sein Fokusthema. Richtig und falsch, Bestrafung und Lob sind Tagesthemen seiner Arbeit und kein Rezept für ein erfolgreiches Miteinander.
Schwarzweißes Denken ist eine heftige Vereinfachung, die zugleich Sicherheit schafft. Es ist durchaus gut zu erkennen, dass A ein Angreifer ist – oder eben nicht. In solchen beinahe archaischen Situationen gibt es nur 1 oder 0. Und das ist zugleich die Grundlage für Auseinandersetzungen. Die wiederum sind grundsätzlich etwas Gewinnbringendes, wenn man an der Meinung des anderen auch wirklich interessiert ist. Wenn ich aber die eine und damit einzige Wahrheit habe, bin ich an der anderen nicht mehr interessiert, es gibt gar keine Auseinandersetzung. Ein viel zu gängiges Modell unzähliger Menschen, nicht nur bei den offensichtlich einfach zu gruppierenden Rechtspopulisten, die eine Meinung haben und gegen jede andere immun sind, weil schließlich nur ihre stimmt. Beinahe jeder unterhält sich lieber mit Menschen, die die eigene Meinung teilen. „Das ist erst einmal selbstbestätigend. Dafür gibt es die wunderschöne Formulierung eines Lebens in der Echokammer. Da kann man sich wunderbar fühlen.“ Man hört, was man hören will. Richtig und falsch.
Es fällt so leicht, in der Historie schlaue Menschen zu zitieren, lagen sie doch offenbar immer so herrlich richtig. So sprach auch der Philosoph und Naturwissenschaftler René Descartes davon, dass Körper und Geist zwei völlig verschiedene Dinge seien. Störungen derselben seien daher entweder körperlich oder psychisch. Der Streit, wann Beschwerden körperlich oder seelisch bedingt sind, hält bis heute an. Und da im Grunde alles biopsychosozial ist, sind die Ärzte der Gegenwart mit diesem einen Begriff fein raus, denn hier steckt im Grunde alles drin, was w/richtig ist. Tatsächlich ist man heute auch selten ein bisschen krank oder ein bisschen gesund. Entweder-oder. Binär-schwarzweiß. Selbst unsere Moral ist einseitig. Entweder hält man sich an die Gebote oder nicht. Es gibt zweifelsohne unzweifelhafte Werte, aber sie sind immer alle konstruiert, und viele sind eben alles andere als eindeutig definiert. Warum fällt es uns also so schwer, die Zwischentöne zu sehen? „Es ist anstrengend und erfordert eine Neugierde auf den anderen, auf den, der anders denkt. Und ich glaube, dass genau diese Neugierde nicht weit verbreitet ist. Da sind wir wieder in der Echokammer, in der wir uns nun mal am sichersten und wohlsten fühlen. Leider bleibt uns damit ein Großteil des Lebens verschlossen“, so Rotthaus.
Wer kennt die Situation nicht: Man unterhält sich mit jemandem über etwas, tauscht Meinung aus und bemerkt irgendwann, dass der andere eigentlich nicht mehr richtig zuhört, weil dessen Bild vom diskutablen Thema längst feststeht. Mehr Meinung ist unerwünscht, gar anstrengend. Die Diskussion ist beendet, die Konvention fordert nur zu oft ihre Fortsetzung. Noch ein Wissenschaftler, der Atomphysiker Heisenberg, sagte: Das auf Descartes zurückzuführende Entweder-oder-Denken hat sich tief in den menschlichen Geist eingenistet. Es wird noch sehr viel Zeit vergehen, bis sie durch eine wirklich andersartige Haltung gegenüber der Wirklichkeit ersetzt wird. Genau so wird es sein. Beim Lesen der Zeilen werden Sie feststellen, dass Sie genügend Gründe für eine Zustimmung zum schwarzweißen Modell finden – in Ihrer eigenen Echokammer. Irgendwie folgt diesem offenbar uralten Ansatz das moderne Simplify-your-Life-Ideal. Mach ich es mir doch einfach mal einfach, indem ich das lebenserhaltende Schwarzweiß verfolge. Ist der Pilz essbar oder nicht? Ja, Nein. Basta.
Das Sowohl-als-auch-Denken erfordert hingegen die ehrliche Lust auf ein wertschätzendes Gedankenmiteinander. Eitelkeiten, Hierarchiedenken, gelernte Firmen- und/oder Familienstrukturen und ein gehöriges Maß an waschechter Denkfaulheit sind nur einige Störfelder für eine Welt in Mischtönen. Geschweige denn für eine Welt in schillernden Farben. Sowohl-als-auch ist zwar irgendwie cleverer als schwarzweiß, aber auch nur, solange man nicht wirklich drüber nachdenken muss. Wir sind halt alle gerne einfach. „Und das ist auch überlebenswichtig“, schließt Wilhelm Rotthaus. „Auch Vorurteile sind nichts anderes als eingebrannte Schwarzweiß-Meinungen. Und wir können nicht ständig jedes Vorurteil bis ins letzte Detail überprüfen. Da wird man ja verrückt.“
zum Download der Zusammenfassung aller Daten, Fakten und Servicehinweise gelangen Sie hier...
Sie möchten rechtzeitig über das Erscheinen von einwortAktuell informiert zu werden, dann können Sie hier unseren
Herausgeber:
Evangelische Kirchengemeinde Bottrop
V.i.S.d.P.:
Pfarrerin L. Krengel
Redaktion:
Pfarrerin L. Krengel,
M. Bokelmann (Öffentlichkeitsreferent)
Fotografie:
M. Bokelmann
Design & Satz:
M. Holtkamp / www.firestone-design.de