einwort

einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

du kannst nichts dafür ...

von Ev. Kirchengemeinde Bottrop

TEXT: S. RIESENBERG, SUPERINTENDENT

Vor zwölf Jahren fing es an. Die Blutung hörte nicht mehr auf. Manchmal war sie stärker, manchmal schwächer. Oft hatte sie gehofft, es würde aufhören, und jedes Mal war ihre Hoffnung enttäuscht worden. Sie war krank und niemand konnte ihr helfen. Die Bibel (Markus 5,26) erzählt, als wäre es heute: „Sie hatte bei vielen Ärzten viel durchgemacht und alles dafür ausgegeben, was sie besaß. Aber es hatte nichts genützt – die Blutungen waren nur noch schlimmer geworden.“ Seit zwölf Jahren gehörte sie nicht mehr dazu. Wer blutete, war unrein und durfte nicht in den Tempel. Sie durfte nicht mehr am Stadtund Gemeindeleben teilnehmen, nach und nach hatten sich ihre wenigen Freundinnen und Freunde von ihr abgewendet. Eine so merkwürdige Krankheit, das musste eine Strafe Gottes sein. Manchmal glaubte sie das sogar selbst. Als sie von Jesus hörte, spürte sie eine neue Hoffnung: Wenn ich ihn nur einmal berühren kann, dann werde ich gesund. Auf dem Markt, im dichten Gedränge, näherte sie sich Jesus von hinten. Sie streckte die Hand aus und streichelte vorsichtig den Saum seines Mantels. Trotz des Gedränges bemerkte Jesus die Frau und ihre Berührung. Er blieb stehen, wendete sich ihr zu und begann eine Unterhaltung. Sie erzählte ihm ihre Geschichte und er hörte zu. Und dann sagte er: „Dein Glaube hat dich gesund gemacht.“

Zwölf Jahre Blutungen – für die Frau bedeutete das zwölf Jahre Ausgrenzung und Einsamkeit. Endlich kann sie, so steht es wörtlich in der Bibel, „die ganze Wahrheit“ erzählen. Endlich sieht sie jemand an, hört ihr jemand zu. So ist Heilung in der Bibel gedacht: Jesus macht die Kranken nicht nur gesund, er richtet sie auf und heilt sie im ganzheitlichen Sinne. Heil sein heißt so sein, wie Gott den Menschen gedacht und gemacht hat.

Jesus legt den Aussätzigen die Hände auf, vergibt einem Querschnittsgelähmten die Sünden und hilft Menschen, die lange ausgegrenzt und alleine waren, zurück in die Gemeinschaft. Damals war das revolutionär, ein ganz neues Menschenbild: Eine Krankheit ist keine Strafe Gottes für eine vermeintliche Sünde. Du kannst nichts dafür. Es gibt keinen Sinn in einer Krebserkrankung, im plötzlichen Kindstod, im grauen Star oder in Long COVID.

Noch etwas gibt es bei Jesus zu lernen: Heilung bedeutet mehr als Gesundwerden. Das müssen wir als Gesellschaft neu lernen: Zum Menschsein gehören Krankheiten dazu. Wir sind nicht Jesus, wir können keine Wunder tun. Dank der medizinischen Forschung gibt es Medikamente und Therapien, und Menschen, die früher sicher an ihrer Krankheit gestorben wären, können wieder gesund werden. Das geht allerdings nicht immer, auch heute gibt es Menschen, denen keine Ärztin und kein Arzt mehr helfen kann. Was können wir tun, damit Menschen würdevoll krank sein können, ohne das als Misslingen oder Versagen oder Strafe Gottes zu empfinden oder zu vereinsamen? Wie können wir die Selbstbestimmung von Patient:innen stärken? Und ganz praktisch: Wie ermöglichen wir Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen bestmögliche Teilhabe in unserer Gesellschaft?

Die richtigen Fragen zu stellen – das könnte ein guter Anfang sein. Manchmal, wenn jemand krank ist, fragen die Leute: „Was hast du denn?“ Nicht jeder Mensch möchte darauf antworten. Vielleicht, weil die Antwort zu intim ist. Vielleicht auch, weil man andere nicht mit dem eigenen Leid belasten möchte. Andere Leute fragen: „Wann kommst du wieder zur Arbeit?“ Vielleicht steckt dahinter die Annahme, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit das größte Glück wäre. Für jemanden, der eine schlimme Diagnose bekommen hat, ist Arbeit unter Umständen gar nicht mehr so wichtig.

Womöglich gelingt ein Gesprächseinstieg mit: „Wie geht es dir?“ So gefragt können Menschen ihre Geschichte, ihre Wahrheit erzählen. Vielleicht kommen die Diagnose oder die Perspektive darin vor. Vielleicht auch nicht. Mit der ganzen eigenen Wahrheit, in einem persönlichen Gespräch, so beginnt Heilung, so beginnt Aufrichtung.

Jesus sagt im Gleichnis über das Weltgericht (Matthäus 25): „Wer die Kranken besucht, der besucht mich.“ Daran erkennt man Christinnen und Christen: Nicht daran, dass sie Wunder tun, sondern dass sie die Kranken besuchen und niemanden verloren geben. Es ist nicht nur die Aufgabe von Pfarrerinnen und Pfarrern oder Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die Kranken zu besuchen. Es ist eine Aufgabe für jede Christin und jeden Christen. Wir können nicht jede Krankheit heilen. Was wir können: Kranke Menschen besuchen und etwas tun gegen die Einsamkeit und die Ausgrenzung, die auch heute noch oft mit der Krankheit Hand in Hand gehen. Freude und Schmerzen teilen, aufmerksam zuhören. So, wie es Jesus damals auf dem Markt, mitten im Gedränge, tat. Das ist heilig, und so erzählen manche, dass ihnen am Krankenbett nicht nur ein Mitmensch, sondern auch Jesus begegnet ist.

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