einwort

einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

Familie im Wandel

von Ev. Kirchengemeinde Bottrop

Heute kommt auf drei Hochzeiten eine Scheidung,
während die traditionellen Geschlechterrollen
verloren gehen. Vieles ist miteinander möglich,
während der Druck auf die Eheleute zunimmt.

In den späten 1970er Jahren heirateten Mann und Frau früh. In Westdeutschland durchschnittlich mit 23 Jahren, in Ostdeutschland sogar schon mit 19. Es war – wenn man so will – die Talsohle des Heiratseintrittsalters. Seitdem weist der Trend ausnahmslos nach oben. Heute heiraten Paare im Schnitt mit 32 Jahren. Wohlgemerkt: das erste Mal. Es hat sich viel verändert in den Beziehungen der Menschen zueinander. Auch die Statistiken verweisen auf eine Realität fernab der traditionellen Vorstellung des idealen Familienlebens. So betrug im Jahr 2005 die Scheidungsquote 51,92 Prozent. Das heißt: Auf zwei Eheschließungen kam eine Scheidung. Seitdem sinkt die Quote wieder langsam. Heute scheitert jede dritte Ehe. Das Ergebnis sind Familienstrukturen, die unterschiedlicher nicht sein können: Vater-Mutter-Kind(er), Ein-Eltern-Familien wie Mutter-Kind(er) oder Vater-Kind(er), Patchwork-Familien, homosexuelle Familien. „Die Zahlen sagen aber auch, dass die meisten Kinder in klassischen Ehestrukturen geboren werden – das ist immer noch das vorherrschende Modell vom Familiendesign“, erklärt die Bottroper Psychotherapeutin für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, Simone V. E. Hartmann. Es ist das, was wir – wie selbstverständlich – als normal bezeichnen.

Gitta Werring

Dipl.-Pädagogin bei der Evangelischen Beratungsstelle
für Schwangerschaft, Familie und Partnerschaft
in Bottrop.

Einfache Geschlechterrollen?

Dabei haben sich Familienstrukturen in den zurückliegenden Jahrzehnten grundlegend verändert. Wir haben nicht mehr 1955, als – nicht nur in der Werbung der Wirtschaftswunderjahre – der Mann das Geld nach Hause brachte, während die Frau sich um die Kinder und das Heim sorgte. Heute kann jeder machen, was er will, mit der Folge, dass die Klarheit im Alltag verloren geht. Niemand behauptet, dass die traditionellen Geschlechterrollen das ideale Modell waren. Aber sie waren einfach. Also erziehen im Jahr 2020 knapp 2 Millionen Mütter oder Väter ihre Kinder alleine. Vor allem Frauen sind es, die sich ohne Partner um eines oder mehrere Kinder kümmern müssen und häufig an ihre Grenzen stoßen. „Die überlastete Gruppe der Alleinerziehenden – plus fehlende Bildung, Armut und Erkrankung der Eltern – sind die häufigsten Risikofaktoren für psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in modernen Familienstrukturen“, erklärt Simone V. E. Hartmann. Das könne man dann nur mit therapeutischer Unterstützung und intensivem emotionalen Kontakt aufarbeiten.

Der Druck der Veränderung

„Man geht heute auch davon aus, dass der Fall des Eisernen Vorhangs zu dieser Ausprägung des modernen Neoliberalismus und in der Folge zu einer Individualisierung geführt hat, die unsere Gesellschaft sehr veränderte“, erklärt Dipl.-Pädagogin Gitta Werring von der Evangelischen Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familie und Partnerschaft. Und plötzlich spielen politische Umbrüche nicht nur eine Rolle, wenn es darum geht, wie Menschen in diesem Land miteinander leben. Diese Veränderungen wirken sich auch darauf aus, wie Familien Erziehung verstehen und praktizieren. Vielleicht klingt das weit hergeholt, doch letztlich stellen viele Menschen fest, dass ein enormer Druck auf ihnen lastet, über den sich frühere Generationen keinen Kopf gemacht haben – weil es diesen Druck nicht gab. Heute sollten wir jeden Tag 10.000 Schritte gehen, weniger Fleisch essen, Biogemüse kaufen, den Kindern einen Helm aufsetzen, wir sollen morgens-mittags-abends wie aus dem Ei gepellt aussehen, wir sollen Vater, Ernährer, treusorgender Ehemann, Liebhaber, Freund, Seelsorger und Handwerker sein, oder umgekehrt Mutter, Frau, erotische Gespielin, Hausfrau, erfolgreiche Berufstätige, attraktive Dame und herzliche Freundin . Dieser Druck verändert und nimmt vor allem eins: Leichtigkeit. Das spüren wir bis ins familiäre Mark.

Simone V. E. Hartmann

Psychotherapeutin / Psychoanalytikerin für Kinder,
Jugendliche und junge Erwachsene in Bottrop.

Die böse Stiefmutter

Noch in der Nachkriegszeit war die Familie auch eine soziale Absicherung und bildete damit eine gemeinsame wirtschaftliche Basis. Die Liebesheirat galt noch nicht als das Maß der Dinge, es regierte der Pragmatismus auf dem Weg zum Traualtar. Umgekehrt wurden Ehen noch schuldig oder unschuldig geschieden. Seit 1977 wird diese Schuldfrage mit dem Inkrafttreten der 1. Eherechtsreform bei Scheidungen nicht mehr gestellt. Passgenau stiegen die eingangs genannten Heiratszahlen. Die sexuelle Revolution, Frauenrechtsbewegung, Bildung für alle ... neue Zeiten formen neue Familienstrukturen. Und dass heute in Patchwork-Familien zwei bis dato völlig unabhängige Systeme aus sensiblen emotionalen Strukturen verbunden werden, scheint ein sehr modernes Phänomen. Doch auch früher gab es Familien, in denen Mitglieder früh starben und neue Bande geknüpft wurden, wodurch bis dahin fremde Menschen plötzlich zusammenlebten. Die Gebrüder Grimm weideten solche alltäglichen Strukturen mit ihrer Darstellung der bösen Stiefmutter in zahllosen Märchen derart nachhaltig aus, dass die Stiefmutter bis in die Gegenwart literarisch wie filmisch taufrisch wie boshaft überlebte.

Familie heute

Homoehen sind seit 2017 bei uns als offizielle Lebensform abgesichert und auch die Ev. Kirche von Westfalen – zu der die Ev. Kirchengemeinde Bottrop gehört – hat Ende letzten Jahres nach einem langen Ringen durch die Instanzen die kirchliche Trauung von Schwulen und Lesben eingeführt. Nicht erst damit wächst auch der Kinderwunsch in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Allen Skeptikern solcher Familienkonstruktionen sei gesagt, dass nicht nur die niederländische Wissenschaftlerin für die Kindsentwicklung und -erziehung Prof. Dr. Henny Bos der University of Amsterdam feststellte, „dass sich Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen sehr gut entwickeln und spätestens in der Pubertät einige Vorteile gegenüber Kindern aus Heterofamilien besitzen. Man führt das auf eine andere Kommunikation zurück, da in diesen Familien immer noch viel erklärt werden muss, um Vorurteilen zu begegnen. Diese jungen Menschen erleben beispielsweise Toleranz als Basisqualifikation, nicht als zusätzlichen Kompetenzerwerb“, weiß Werring. Ja, unsere Familien haben sich verändert und auch aus Gegenwartsfamilien kommen mündige Bürger, glückliche Menschen, ehrenwerte Steuerzahler, bekennende Christen, Naturschützer und Künstler. Und die Familien im Wandel sind – den Statistiken zum Trotz – zugleich ein gutes Modell, das viele genauso bewerten: gut. Zahllose Familien schaffen den Spagat zwischen den vielen Rollen und organisieren sich wie das vielzitierte kleine Familienunternehmen. Für die, die Hilfe benötigen, gibt es zahlreiche Unterstützungsangebote, die das Familienleben bereichernd gestalten können. Die Welt ist bunt und bunter. Nicht nur die Regenbogenfamilien beweisen es.

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