einwort

einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

112

von Ev. Kirchengemeinde Bottrop

Während auf dem Gelände der Bottroper Berufsfeuerwehr eine Übung für die Auszubildenden stattfindet, fahren Feuerwehrautos umher, Mitarbeiter ziehen Handwagen voller Equipment, Kollegen sprechen über technische Details an Fahrzeugen. Es ist ein entspanntes Gewusel auf diesem Innenhof der Hauptwache an der Hans-Sachs-Straße. Bewegt, aber so gar nicht hektisch, vielschichtig und trotz allem sortiert. Dann kommt eine Durchsage durch die vielfach installierten Lautsprecher, die einen Einsatz ankündigen. Die Ruhe setzt sich fort, bloß in der Fahrzeughalle bewegt sich einiges. Währenddessen erklärt Feuerwehrmann Gregor Schleking die Strukturen vor Ort: „Jeder der rund 175 festangestellten Mitarbeiter hat hier seine fest definierten Aufgaben zwischen Rettungsdienstabteilung, Atemschutzwerkstatt, Schlauchwäsche und noch viel mehr.“ Der 34-Jährige hat 2011 seine Ausbildung bei der Feuerwehr abgeschlossen, seitdem ist er Teil des Systems und im Rettungsdienst für die Aus- und Weiterbildung sowie im Gerätemanagement tätig. Ein Job zwischen Ausbildung und dem ganz realen Einsatz. Ein Einsatz, der nicht nur manchmal an die Grenzen geht.


Wenn die Feuerwehr gerufen wird, brennt es – dem Klischee zum Trotz –
nur in Ausnahmefällen. Meistens wird die Notfallnummer gerufen, wenn
Bürger Angst um ihre Gesundheit haben, sich Unfälle ereignen, aber auch
Suizide entdeckt werden. Ein Beruf zwischen Leben und Tod.

Notfallseelsorge inklusive

„Ich habe schon einige Motorradunfälle mit Todesfolge erlebt. Einer der schwierigsten war sicherlich das Paar, das jeweils mit eigener Maschine fuhr. Sie verunglückte tödlich, er war am Unfall gar nicht beteiligt. Dort habe ich die Erstbetreuung des Mannes übernommen, aber auch sofort einen Notfallseelsorger angefordert, weil das einfach meine Kompetenzen übersteigt.“ Der Seelsorger wird dann über die Leitstelle alarmiert. Auch Pfarrer Achim Solty von der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop ist so ein Notfallseelsorger. Bei dem Motorradunfall erschien jedoch eine Kollegin, die schlichtweg näher am Unfallort wohnte. Während Schleking berichtet, tönt die nächste Durchsage durch die Lautsprecher. Es ist wieder ein Einsatz, der letzte liegt gerade 15 Minuten zurück. Alltag auf einer Feuerwehrhauptwache.

Belastende Einsätze

Die weitaus meisten Einsätze fahren die Beamten im Rettungsdienst. Jemand ruft also die 112 und binnen Minuten fahren Notarzt und Sanitäter in tausendfach gelebten Abläufen zum Einsatz. Bis dahin ist es Routine und dann beginnt die Ungewissheit. „Wir versuchen, die Angehörigen der betroffenen Personen vor Ort immer etwas aufzumuntern oder abzulenken. Vor allem bei älteren Menschen ohne weitere nähere Angehörige. Manchmal halten wir auch einfach nur Händchen. Man nennt das dann auch psychologische Erste Hilfe. Die Zeit nehmen wir uns.“ Schleking hat vor kurzem eine Weiterbildung in der psychosozialen Unterstützung begonnen. Eine Aufgabe für die Mannschaft, gerade wenn es um belastende Einsätze geht oder sogar um den Verlust eines Kollegen. Natürlich macht sich eine Berufsfeuerwehr mehr als einen Gedanken um die Seelenhygiene der Mitarbeiter. Die Feuerwehrleute erleben schließlich alle früher oder später Momente, die an die Substanz gehen. Dann ist es gut zu wissen, dass belastende Situationen innerhalb des Teams aufgefangen werden.

Wie ein Uhrwerk

„Wir erleben hier auch viel zu oft vollendete Suizide. Manchmal ist das Bild, das sich uns bei Eintreffen bietet, kaum auszuhalten. Das stecken wir auch nicht mal eben so weg.“ Die Kollegen sprechen dann auch untereinander über das Erlebte, können aber auch eine professionelle Unterstützung aufsuchen, wenn die psychische Last zu groß wird. Und manchmal hilft im alltäglichen Miteinander und zwischen den Einsätzen auch eine Prise Humor. Eine funktionale Form der Verarbeitung. Im unmittelbaren Vor-Ort- Kontakt regieren freilich Höflichkeit, Respekt und damit Professionalität. Was auch sonst! Währenddessen schrillt der nächste Alarm durch die Wache. Schleking bleibt ruhig, die Rettungsmaschine läuft wie ein Uhrwerk. Es ist wieder ein Rettungseinsatz. Das Rolltor öffnet sich, die Ampeln vor dem Gebäude schalten für die Autofahrer auf Rot, das Blaulicht am Rettungswagen leuchtet und das Martinshorn ertönt. Es ist der nächste Einsatz auf Leben und Tod.

Marco Ortmann öffnet die Tür zum Beerdigungsinstitut Stratmann in Kirchhellen. Kühl ist es hier, hell, es riecht frisch. An den Wänden hängen stilvolle Bilder. Dezente wie moderne Blumenarrangements in hohen Vasen begrüßen den Besucher. Eine lebensbejahende Atmosphäre. Wer bei Beerdigungsinstituten an dunkle, holzverkleidete Kleinstunternehmen mit gleichsam düsteren Särgen im Eingangsbereich denkt, wird zumindest hier eines Besseren belehrt. Wir gehen an zahlreichen Türen vorbei und betreten einen kleinen Raum mit bodentiefen Fenstern. Hier wartet eine lange stählerne Platte tatsächlich auf einen Sarg. Es ist der Raum, in dem die Hinterbliebenen Abschied nehmen können. „Ich habe erst mein Fachabitur in Dorsten am Berufskolleg gemacht und dann auch dort meine Erzieher-Ausbildung angefangen. Aber irgendetwas fehlte mir in diesem Beruf. Also brach ich kurz vor der Prüfung ab und orientierte mich neu“, erklärt der 26-Jährige. Die vielen Jahre ehrenamtliche Arbeit für die Evangelische Kirchengemeinde Bottrop haben ihn geprägt, und doch ging die Berufswahl einen anderen Weg. Nach einer Phase der Orientierung hat er sich dann für völlig unterschiedliche Ausbildungsberufe beworben. Auch als Bestattungsfachkraft, einen Beruf, den jährlich weniger als 200 Azubis wählen. Bei Stratmann erhielt er die Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Sidos Weg

Am Abend vor dem Vorstellungsgespräch zappte Ortmann dann mit der Fernbedienung durchs TV-Programm und blieb bei Pro7 hängen. Der Deutsch-Rapper Sido war dort in einer Sendung zu Besuch bei einem Bestatter. Gemeinsam mit den Profis erklärte der Musiker mit den zahllosen Tattoos den Zuschauern nun die Vielschichtigkeit des Berufs. Ortmann wurde quasi kurz vor dem Gespräch der Gespräche von seinem Lieblingsmusiker unterrichtet. Erfolgreich, denn das frische Vorwissen überzeugte wenige Stunden später auch das Institut und stellte ihn kurzerhand ein. Herzlich willkommen in einem Beruf, bei dem man tatsächlich mit einem Bein im Grab steht. Und dann kam der erste Tag und die unvermeidliche Frage: Willst du mal deinen ersten Verstorbenen sehen? „Na, dafür war ich ja da. Und da an meinem Startdatum auch direkt eine Beerdigung stattfand, habe ich halt gesehen, wie der Tote aufgebahrt wurde. Ich habe als kleiner Junge auch meine verstorbene Oma gefunden, das war wirklich ein riesiger Unterschied. Meine Oma lag da mit offenen Augen und geöffnetem Mund. Kein schönes Bild. Der Verstorbene hier sah friedlich und einfach angenehm aus.“ Ortmann sagt mehrfach, dass er vor dem Berufswunsch zum Bestatter nichts mit dem Tod zu tun hatte, die Geschichte mit seiner Oma spricht eine andere Sprache. Vielleicht ist dieses frühkindliche Erlebnis nicht der Grund für seine Berufswahl, aber seine neuen Erfahrungen mit dem weltlichen Wesen des Todes haben dennoch die alten Bilder revidiert.

Wir wechseln den Ort, gehen vorbei an einer Sargausstellung, an Urnen und Sargausschlägen und befinden uns nun in der Garage, in der auch der blitzsaubere Bestattungskraftwagen steht. Jenes langgestreckte Fahrzeug, das früher einmal etwas griffiger als Leichenwagen bezeichnet wurde. Daneben öffnen wir eine Tür und betreten den Hygieneraum. Es riecht nach Desinfektionsmitteln, an den Fenstern befinden sich lange blickdichte Vorhänge, eine flache Edelstahlwanne dient dem Verstorbenen als Auflage. „Ich bin ehrlich gesagt gerne in diesem Raum. Im Grunde ist es sogar mein liebster Arbeitsbereich. Hier habe ich irgendwie die meisten Fähigkeiten erworben – am Anfang noch sehr zaghaft, mittlerweile sehr routiniert.“ Hier wird der Tote gewaschen und geschminkt, angezogen und im Sarg aufgebahrt. So sehen ihn die Angehörigen später. Wenn dies sein bevorzugter Tätigkeitsbereich ist, so ist die Ausbildung aber noch weitaus komplexer. Er lernt die kaufmännischen Aspekte dieses Berufs kennen, erwirbt handwerkliche Kenntnisse, es geht um Kommunikation, eine gute Prise Psychologie und um so viel mehr. Nein, natürlich ist dies kein Beruf von der Stange, zugleich ist er weder langweilig noch gruselig. ‚Besonders‘ trifft es vielleicht am besten. Erst 2003 wurde die Bestattungsfachkraft zu einem geordneten und bundesweit einheitlich geregelten Ausbildungsberuf ernannt. Vor einigen Monaten hat Marco Ortmann darin seine Abschlussprüfung bestanden. Inhaber Andrea und Gregor Stratmann haben ihn sofort übernommen.

Fingerabdruck-Andenken

„Am Anfang der Ausbildung wollten meine Freunde mir gar nicht mehr die Hand zur Begrüßung geben. Als ich ihnen dann sagte, wie hoch der Hygienestandard bei uns ist und ich meine Hände halt ständig wasche, war es dann aber auch wieder gut. Die kannten das halt nicht.“ Deutschlandweit gibt es etwa 5.500 Bestattungsunternehmen, die über 500.000 kirchliche Bestattungen durchführen. Die weitaus meisten Hinterbliebenen wünschen eine Erd- oder Urnenbestattung. Das Unternehmen, in dem Marco Ortmann arbeitet, bietet darüber hinaus auch Seebestattungen und Beisetzungen in einem Friedwald an. Auch Schmuckstücke vom Fingerabdruck des Hinterbliebenen sind lieferbar. Mittlerweile haben sich Freunde wie Familie nicht nur an seine Berufswahl gewöhnt. „Mein Vater erzählt seinen Bekannten ganz stolz davon, dass sein Sohn Bestatter ist. Das findet der total gut.“

Herzensangelegenheiten

Während des Gesprächs laufen die Angehörigen eines jüngst Verstorbenen durch das Institut. Sie bringen die Kleidung für den Toten und suchen den Sargausschlag aus. Wir warten derweil im Hygieneraum, bis wieder Ruhe auf den Gängen herrscht. Die meisten Menschen machen um den Tod einen großen Bogen, und zugleich gibt es Berufsgruppen, die ihre Augen nicht verschließen können und wollen. Marco Ortmann hat einen solchen Beruf gewählt und ist total zufrieden mit seiner Lebensentscheidung: „Ich hätte in der Vergangenheit wohl auch nicht gesagt, dass dies mein Traumberuf werden könnte. Mittlerweile ist er das aber geworden. Es ist längst ein Herzwerk und nicht nur ein Handwerk.“

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