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einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

Im Schatten der Laube

von Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten

Lieblingsort Schrebergarten

Für 1.000 Euro haben die
Hutschs das Gärtchen mit allem,
was darauf steht, gekauft.

Familie Hutsch

Das niedrige Törchen quietscht nicht einmal, wenn man den Schrebergarten von Anna-Maria und André Hutsch betritt. Schmale Wege führen an jungem Rotkohl vorbei, während mit einem leichten Netz überspannte Kartoffeln in den warmen Maitagen sprießen. Die Blumen links und rechts halten sich noch dezent zurück. Es ist nahezu luftig-leicht im Kleingarten des jungen Paares. Luftig, im besten Sinne, weil hier weder die (Un)Kräuter wuchern noch die Beete mit Nutzpflanzen à la Kohlrabi zugepflastert sind. Es gibt keine mannshohen Hecken und auch die wenigen Bäume sind auf ein lebensnotwendiges Minimum zurückgeschnitten. „Wir haben diesen Garten erst im vergangenen Jahr übernommen“, erzählt André Hutsch und klärt damit schon mal auf, dass hier die neuen Besen gut gekehrt haben. „Hier war eine große Wiese mit einer riesigen Hecke drum herum. Die haben wir schon mal rausgerupft und an dieser Stelle auch Wiese gesät. Man konnte hier auch kaum noch Wege sehen, irgendwo stand ein eingefallener Pavillon, in der Ecke lehnte ein altes verrostetes Fahrrad am Zaun.“ Der Schrebergarten gehörte vorher einer alten Dame, die den Aufgaben einfach nicht mehr gewachsen war. Für 1.000 Euro haben die Hutschs das Gärtchen mit allem, was darauf steht, gekauft. Jetzt machen sie ihr Ding daraus.

Kraut und Rüben

Schrebergartensiedlungen und Kleingartenanlagen unterliegen den Bestimmungen des Bundeskleingartengesetzes. Mit anderen Worten: Hier kann niemand machen, was er will. Das Gartenhaus darf zum Beispiel nicht als Wohnsitz genutzt werden – selbst Übernachtungen werden nicht gerne gesehen. Ausnahmen bestätigen gewiss die Regel. Die gesamte Grundfläche mit Überdachung darf 24 Quadratmeter nicht übersteigen und der Garten darf nicht größer als 400 Quadratmeter sein. Jeder Randstein wird hier erfasst, jeder Baum, jeder Meter Zaun. Das klingt kleinkariert, und strenggenommen ist es das auch. Doch der Strenge liegt natürlich der Wunsch nach Ordnung zu Grunde. Bei mehr als tausend Gärten in Bottrop würde das unreglementierte Treiben schnell wie Kraut und Rüben aussehen. Mit Blick auf die alte Idee des Schrebergartens genau das im Grunde eine löbliche Revolution des ursprünglichen Gedankens.

März – Oktober

„Alleine das Wort ‚Schrebergarten‘ ist schon Kult. Das ist wie mit den Buden, die wir hier im Pott haben, die sind auch Kult“, sagt Anna-Maria Hutsch und grinst über den breiten Kunststofftisch ihren Mann an. Die beiden wohnen in Bottrop in einer ganz normalen Mietwohnung und sehen sich derzeit nach Eigentum um. Während fast jeder Immobilieninteressent auf der Suche nach den eigenen vier Wänden mindestens einen Balkon, besser eine Terrasse und noch besser einen Garten anvisiert, wollen die Hutschs eine Wohnung ohne alles. Grün ist es im Schrebergarten. Und der bleibt. Das reicht. „Wir packen morgens unsere Tasche und fahren dann in den Garten. Wenn das Wetter gut ist. Bei schlechtem Wetter ist es zuhause allerdings netter“, ergänzt André Hutsch. Ab Oktober ist die Saison vorbei. Im März geht’s weiter.

Die gesamte Grundfläche
mit Überdachung darf
24 qm nicht übersteigen
und der Garten darf nicht
größer als 400 qm sein.

Lecker, lecker

Bei Katzen würde man von Freigängern sprechen – beim Ehepaar Hutsch ist das so anders nicht. Sie sind am liebsten draußen. Ihre Familie ist seit Generationen mit dem Schrebergartenvirus infiziert. Seine Familie war campen. Heute treffen sich die beiden Berufsköche nach getaner Arbeit im Garten und legen maximal noch etwas auf den Grill. Bis zur Ernte. Dann wird der Speiseplan doch noch einmal professionell umgestellt. „Unsere Kartoffeln sind so viel leckerer als die hochgezüchteten Industriekartoffeln aus dem Supermarkt. Wir können das als Köche wirklich ganz gut einschätzen. Alles kann hier langsamer wachsen und entwickelt andere Aromen, und darum schmeckt die Zucchini nach Zucchini und die Kirschen schmecken nach Kirschen. Wunderbar.“ Seine Augen leuchten und nicht nur hier merkt man, dass die beiden wirklich gerne mit Nahrungsmitteln arbeiten. Spätestens bei der eigenen Ernte haben sie ausreichend Gelegenheit, Profession und Leidenschaft miteinander ganz privat zu vermengen. Und zwischendurch kann man ja auch schon mal naschen.

Ein Stück Revier

All das macht den Reiz des Schrebergartens aus. Die Leichtigkeit, mit der die Vorbeigehenden über die Beete hinweg einen flotten Spruch rüberschicken. Die Zwangspause in der Mittagsruhe zwischen 13.00 und 15.00 Uhr. Die erdrückende Enge in der Laube. Und das besondere Gefühl, mit den nackten Füßen auf dem eigenen Rasen zu stehen – auch wenn der Grund nur gepachtet ist. Billiger kommt niemand an sein Stückchen Revier. Und auch sie gibt es noch: Gartenzwerge, Windmühlen, Stachelbeerbüsche und die johlenden Kinder, die durch die Gänge rennen und Verstecken spielen. Und die meckernden Erwachsenen, denen das Geschrei zu laut ist, während es den Kindern fast egal ist. Es ist ein mächtiges Stück Tradition – zwischen Brötchenhälften und einem Graskantenschneider.

 

 

Familie Knöfler

Nur vier Gärten weiter haben wir uns mit Ehepaar Knöfler verabredet. Am Tag des Interviews sitzt Frau Knöfler alleine im Garten: „Mein Mann ist seit gestern im Krankenhaus. Er hat sich den Meniskus abgerissen.“ Vor ihr plätschert die Pumpe zu einem Teich, der über weite Strecken von einem gigantischen Busch überwuchert wird. „Dann sieht der Reiher unsere Fische nicht“, sagt Erika Knöfler und hält den Gartenschlauch in den Teich, der offenbar Wasser verloren hat. 20 Koi-Karpfen und Goldfische teilen sich das schattige Refugium. Erika Knöfler sitzt auf der weißen Kunststoffbank. Ihr Häuschen im Rücken, die Augen auf den Teich gerichtet. Gemeinsam mit ihrem Mann Otto gehört sie zu den langjährigsten Pächtern im Kleingartenverein „Am Beckramsberg e.V.“ Im April 1969 hat er für 300 D-Mark das Grundstück erworben. „Mein Mann wollte schon immer einen Garten, ich wollte das eigentlich gar nicht. Aber wenn nicht beide dafür sind, hat das alles ja keinen Sinn. Tatsächlich habe ich mich dann damit arrangiert. Ich würde sagen: Es war eine schnelle Liebe.“ Seitdem sind die beiden ein Dreamteam: Er macht das Land, sie die Kleinigkeiten. „Nach über 50 Jahren versteht man sich blind, bei dem, was wir hier machen. Jeder weiß, was er zu tun hat!“

Ein Ort voller Erinnerung

Otto Knöfler war bei der Berufsgrubenwehr und der Werksfeuerwehr auf Prosper Haniel. Handwerklich machte und macht ihm keiner etwas vor, darum baute er auch das Gartenhäuschen selbst – Stein auf Stein. 51 Jahre später lehnt sich seine Frau selbstverständlich daran an, während sie die Jahre Revue passieren lässt. „Wir hatten einen Sohn, aber der ist mit 46 gestorben. Damals haben wir in unserem Garten so viele Kindergeburtstage mit den Freunden gefeiert. Das war eigentlich sehr schön. Überhaupt waren wir damals fast jeden Tag hier.“ Das schwere Thema belastet. So wie die Jahre selbst. Es fällt der 82-Jährigen zunehmend schwer, das Unkraut zu jäten. Unmöglich ist es allerdings nicht. Auch deshalb blüht es vielfarbig in dem gereiften und zugleich liebevoll gepflegten Garten. Lilien, Hyazinthen, Tulpen, Rhododendron, Schneeheide, Klatschmohn und ihre Lieblingspflanze: die Pfingstrose. „Für die habe ich eine Schwäche. Die ist schon sehr alt. Ich meine sogar, dass die schon drin war, bevor wir kamen.“

Nostalgie trifft Moderne

Der Leipziger Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber stand mit seinem Namen Pate für eine ganze Naturbewegung. Aus den ersten organisierten Gärtchen wurde jedoch erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Schrebergarten. Da war Schreber längst tot, seitdem sind die Gärten ein Erfolgsmodell. Deutschlandweit gibt es etwa 15.000 Vereine, in denen fast 1.000.000 Kleingärtner gemeldet sind. Auf die gesamte Republik verteilt ergibt das eine Fläche von 460 Quadratkilometern Schrebergarten. Das ist deutlich größer als die Fläche der Freien Hansestadt Bremen. Eine Menge Platz für Spaß und Pflichten: „Man sagt ja ein Drittel Nutzgarten, zwei Drittel Ziergarten. Wir haben zum Beispiel rote Kartoffeln, Buschbohnen, ein paar Kräuter, Zwiebeln und Radieschen, Rhabarber, aber auch Johannisbeeren und Stachelbeeren, und dann ist aber auch gut.“ Aus dem Obst kocht sie im Herbst über 30 Gläser Marmelade ein, das reicht fürs ganze Jahr. Bestand das Hauptziel der Gärten zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch darin, Hunger und Verarmung entgegenzuwirken, sind die Schrebergärten längst Teil eines modernen Lebensgefühls, das mit einer ordentlichen Portion Nostalgie etwas ganz eigenes ergibt, das man gut und gerne Kult nennen kann.

Entschleunigung pur

Ein Kult, der nicht unbedingt generationsübergreifend identisch verstanden werden muss. „Ja wissen Sie, die junge Generation gibt nicht mehr so viel um den Garten selbst. Ich habe ja in all den Jahren immer zuerst den Garten gemacht und dann das Häuschen. Und die jungen Leute wollen lieber feiern. Für den Garten sind die wenigsten hier.“ Ganz gewiss hat sich das Selbstverständnis von Generation zu Generation gewandelt. Schwerpunkte haben sich verlagert, Blickwinkel verändert. Bei aller Liebe zur Tradition darf Entwicklung nicht ausgeblendet werden, und das tut sie nicht. Im gesamten Kleingartenverein mischen sich junge und alte, wilde und gradlinige, klischeeverliebte und experimentelle Gärten ab. Orte, an denen sich Gleichgesinnte treffen, wo man im Unterhemd mit Schlappen an den Füßen über den Gartenzaun dem Nachbarn zuprostet oder zurückgezogen ein Buch liest, (Un)Kraut zupft oder die Beete wässert. Jede Parzelle bietet Entschleunigung und Erholung, schenkt die Arbeit mit der Erde und erlaubt das problemlose Miteinander. Schrebergärten waren die grünen Oasen, als es drumherum noch grau war, und sind in einer postindustriellen Epoche bunter denn je. Vielleicht sind sie auch deshalb Kult, weil sie in einer völlig veränderten Zeit ihren ursprünglichsten Nutzen im Grunde auflösen und zugleich als liebgewonnenes Relikt blühend Richtung Zukunft weisen. Erika Knöfler kümmert sich derweil um den Hibiskus. Der hat sich durch den Regen ausgesät. „Wenn ich jetzt nicht aufpasse, habe ich hier überall Hibiskus, das muss ich wieder in den Griff kriegen.“ Handbewegungen aus einem halben Jahrhundert. Erst der Garten, dann das Häuschen. Nächste Woche kommt ihr Mann aus dem Krankenhaus, dann kümmern sie sich wieder gemeinsam um Hibiskus & Co. So wie seit 51 Jahren.

Bildquelle: wort:laut PR & Redaktion, Michael Bokelmann

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