einwort

einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

Rassismus macht nicht vor der Kirchtür halt

von Ev. Kirchengemeinde Bottrop

Zur Autorin:

Sarah Vecera ist evangelische Theologin und Religionspädagogin und lebt in Essen. Sie arbeitet als stellvertretende Leiterin der Abteilung Deutschland bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Im vergangenen Jahr moderierte sie den Eröffnungsgottesdienst des Ökumenischen Kirchentags in Frankfurt, der in der ARD übertragen wurde. Auf Instagram ist sie als @moyo.me bekannt. Am 14. März 2022 erscheint ihr erstes Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“.

Wenn ich mir Talkshows zu den Themen Rassismus oder Identitätspolitik ansehe, erlebe ich dort häufig ein Schwarzweiß-Denken, das die Debatten aufkochen und die Menschen streiten lässt. Dabei sehe ich gerade in diesen Themen eine große Chance für uns ChristInnen, bessere Dialoge führen zu können. Gleichzeitig ist es als Kirche gefährlich, das Thema Rassismus von außen zu betrachten und uns als „die Guten“ zu betrachten. Als die, die nichts mit strukturellem Rassismus zu tun haben.

Wenn ich von Rassismus spreche, meine ich nicht vielzitierten Rechtsextremismus und auch nicht jenen Rassismus, der Deutschland bis 1945 beherrschte. Ich meine eine rassistische Prägung, die sich seit der Aufklärung unbemerkt in uns verankert hat. Zur Zeit der Aufklärung brauchten die Menschen einen Legitimationstrick, mit dem es okay war, zum einen die Werte der Aufklärung (Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit) hochzuhalten und zum anderen die Menschen kolonial auszubeuten. Also haben Gelehrte aus Philosophie, Kirche und Wissenschaft dazu beigetragen, ein Rassenkonstrukt in die Welt zu tragen und aufrechtzuerhalten, in dem eins feststand: Ganz oben steht die „weiße Rasse“. Eine Rasse, die die Werte der Aufklärung in sich vereint. Alle anderen sind Menschen zweiter Klasse und wurden entmenschlicht. Heute wissen wir natürlich, dass es keine biologischen Menschenrassen gibt. Und doch gibt es immer wieder Äußerungen, die auf eben diese Klassifizierung zurückführen. Zum Beispiel, wenn in der Kirche davon gesprochen wird, dass unsere afrikanischen Geschwister „Rhythmus im Blut“ haben oder die Deutschen „per se pünktlich“ sind und eine „innere Uhr sie antreibt“. Oder wenn in Medien darüber spekuliert wird, warum LäuferInnen aus Kenia bei den Olympischen Spielen so schnell sind und sauber finanzierte Studien dann herausfinden wollen, dass die kenianische Wade im Schnitt 15 Gramm leichter ist. Vergleichbare Studien sucht man bei weißen SchwimmweltmeisterInnen vergebens, weil bei ihnen die Gründe „Fleiß und hartes Training“ ausreichen.

Diese Bilder werden auch in unserer Kirche verfestigt, weil dort People of Color durchaus im kirchlichen Kontext zu sehen sind, dort aber fast ausschließlich als hilfsbedürftige ProtagonistInnen auftreten, beispielsweise in der Diakonie, auf Spendenplakaten, bei der Arbeit mit Geflüchteten, der Hausaufgabenhilfe, auf der Fairtrade-Schokolade … Wir sehen sie aber kaum bis gar nicht auf der Kanzel, im Presbyterium, der Kirchenleitung, im Mitarbeitendenkreis oder in unterschiedlichsten Planungstreffen. Wenn ich heute durch die Innenstadt laufe, sehe ganz deutlich, dass unsere Gesellschaft zu etwa einem Viertel aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht. Der Anteil bei den Kindern unter fünf Jahren liegt sogar bei 41 Prozent. Wenn ich sonntagsmorgens in den Gottesdienst gehe, sehe ich von dieser Vielfalt nichts. Die Diskrepanz ist aber kein Zufall, denn sie hat mit den verfestigten Bildern und Vorurteilen zu tun und mit der mangelnden Aufarbeitung der eigenen kolonialen Verstrickungen in der Entstehung des Rassenkonstrukts. Ich selbst konnte mir zum Beispiel nie vorstellen, Pfarrerin zu werden, weil es für mich in der Kirche schlichtweg keine Vorbilder gab. „You can only be what you can see.“ (Du kannst nur sein, was du siehst.) – es gibt an den entscheidenden Stellen unserer Kirche bis heute viel zu wenig People of Color.

Und wenn wir schon über Rassismus reden, reden wir nur zu oft von den anderen und betrachten uns als Kirche viel zu selten mit der notwendigen Selbstkritik. Dabei hängt unsere Zukunftsfähigkeit doch auch davon ab. Gerade in Hinblick auf schwindende Mitgliederzahlen in einer pluralen Gesellschaft muss sich Kirche selbstkritisch in den Blick nehmen und so den vielfältigen Identitäten Beachtung und Achtung entgegenbringen.

Um genau dies tun zu können, haben wir als ChristInnen gutes Handwerkszeug. In der Bibel sehen wir zum Beispiel, wie Gott selbst sich von Anfang bis Ende an der Seite der Unterdrückten sieht: Gott rettet durch den Exodus, Jesus lebt und predigt, wo er sich und Gott in der Welt sieht. Und Paulus warnt vor Spaltung und ruft zur Liebe untereinander auf, in einer Kirche, die schon damals nicht mono-kulturell gedacht war. Außerdem sehen wir uns als ChristInnen als Leib Christi. Dieses Bild des Leibes zeigt eigentlich das Gegenteil dessen, was Rassismus ist: Das Rassismus-System will Menschen voneinander trennen, während das Bild des Leibes zeigt, dass wir gar nicht zu trennen sind. Wir sind alle gemeinsam der Leib Christi, und wenn ein Teil erkrankt, leiden alle Teile. So sehe ich das auch mit dem Rassismus selbst: Keine / Keiner von uns hat sich die Rolle in dieser Welt ausgesucht. Weiße Menschen haben es sich nicht ausgesucht, vom Rassismus zu profitieren, und People of Color haben es sich nicht ausgesucht, durch Rassismus strukturell und individuell benachteiligt zu werden.

Am Ende leiden wir alle unter diesen uns zugeschriebenen Rollen, wobei das Bild des Leibes uns helfen kann, dieses Leiden gemeinsam zu überwinden, um eine gemeinschaftliche Kirche zu werden, wie sie bereits der Apostel Paulus beschrieb. Wenn wir so den Rassismus bekämpfen und uns – im Sinne der uns allen zugesprochenen Gnade – selbst in den Blick nehmen, ohne uns gegenseitig zu verurteilen, können wir bessere Dialoge führen und versöhnlichere Wege gehen, als Menschen es in Talkshows häufig so schwarzweiß tun. Darin sehe ich für uns als ChristInnen tatsächlich eine große Chance. Es mag sicherlich wehtun, Rassismus bei sich selbst zu erkennen. Es mag schwer sein, die Dinge anders zu betrachten, als wir es gewohnt sind. Wenn ich mir aber vor Augen führe, dass uns im rassistischen System alle eine kollektive Schuld trifft, weil wir rassistisch geprägt wurden, noch bevor wir uns dessen bewusst waren, dann können wir das sicherlich besser aushalten, indem wir uns selbst der Gnade bewusst sind, dank derer wir miteinander ins Gespräch kommen, und dann eine gnädige Haltung gegenseitig einnehmen. So können wir gemeinsam Verantwortung übernehmen, uns verändern und die nachfolgenden Generationen prägen und zu einer Kirche werden, von der bereits Paulus, Martin Luther King und viele andere geträumt haben.

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