Andacht auf dem "Russenfriedhof"

Waldfriedhof - Sonntag - 22.11.2020 - 14.45 Uhr

Aus Psalm 62:

Verlasst euch nicht auf Gewalt und setzt auf Raub nicht eitle Hoffnung; fällt euch Reichtum zu, so hängt euer Herz nicht daran. Eines hat Gott geredet, ein Zweifaches habe ich gehört: Gott allein ist mächtig, und du, Herr, bist gnädig.

Begrüßung

Sie hießen Nikolaij oder Marija, Anna oder Roman, Borris oder Wladislawa.

Es waren Jugendliche und Männer und Frauen im Alter zwischen 17 und 30 Jahren – gesund und kräftig, als man sie nach Deutschland holte. Hier starben sie an Unterernährung, Lungenentzündung, Vergiftung oder Grippe. Einige nahmen sich das Leben, andere wurden getötet. Ihre Grabsteine und die durch Bäume und Buschwerk verdeckten Gräber – manche davon Massengräber – auf dem so genannten Russenfriedhof in Holsterhausen legen Zeugnis ab von ihrem Tod. Es gibt auch Kindergräber dort. Kaum geboren, begann für viele Säuglinge bereits das Sterben. „Sie litten an Unterernährung und waren schrecklich aufgebläht“, erinnert sich eine frühere Krankenschwester. „Sie starben wie die Fliegen.“ Nach ihrer Schätzung müssen es weit mehr gewesen sein, als standesamtlich festgehalten. „Sie wurden in Schuhkartons gelegt und kamen teilweise zu viert in ein Grab.“

Lasst uns beten:

Guter Gott, du Gott des Friedens, an diesem Ort voller Geschichte, an diesem Ort der Trauer, an diesem Ort der Schuld und Buße bringen wir vor dich, was uns belastet: Schenke Versöhnung und Vergebung. Zeige Wege, wie wir uns für den Frieden einsetzen können. Stärke unseren Glauben an deine Liebe zum Leben. Gib Kraft zum Handeln, aber auch zum Ertragen von Ohnmacht. Lass uns auf Deine Zusage vertrauen, dass du Frieden auf der Erde willst. Amen.

Wir hören Worte aus dem Jakobusbrief:

"Denn wo Neid und Streit ist, da sind Unordnung und lauter böse Dinge. Woher kommt der Kampf unter euch, woher der Streit? Ihr seid begierig und erlangt's nicht; ihr mordet und neidet und gewinnt nichts; ihr streitet und kämpft und habt nichts, weil ihr nicht bittet …“

Als der 17-jährige sowjetische Zwangsarbeiter Nicolaij Efanow an Hitlers Geburtstag am 20. April 1944 seinen rechten Arm zum Hitlergruß hob, die Hacken seiner klobigen und schäbigen Schuhe zusammenknallte und „Heil Hitler-Scheiße“ rief, holten ihn in den Abendstunden Beamte der Stapo aus seiner Baracke in der Dorstener Eisengießerei und brachten ihn nach Borken. Denn von dort war der „Zivilarbeiter aus Sowjetrussland“, wie die Zwangsarbeiter und Zwangsdeportierten aus der besetzten Sowjetunion hießen, ausgeliehen. Der junge Schüler überlebte Führers Geburtstag nicht. Noch in der gleichen Nacht brachte die Polizei den Russen tot in die Eisengießerei zurück. „Auf der Flucht erschossen“ hieß es lapidar auf der erhaltenen Karteikarte. Doch die Leiche wies Spuren von Schlägen auf. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit verquollen. Nicolaij Efanow fand seine letzte Ruhestätte in einem Massengrab auf dem Russenfriedhof in Dorsten-Holsterhausen. Aus einem nicht weitergeleiteten und in Teilstücken erhaltenen Brief an Angehörige in seinem russischen Heimatort Makewka geht hervor, dass sich der Junge nach seiner Mutter und seinen Brüdern sehnte und sich nichts mehr wünschte, als heimzukehren.

 

Wolfgang Borchert. Am 20.11.1947 viel zu früh gestorben. Schreibt uns ins Stammbuch:

Du. Mensch an der Maschine und in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelm und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mensch hinterm Ladentisch und im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie Dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das Leben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, Du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransporter, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du am Hoangho und am Missisippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN!

Mütter, sagt NEIN!

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, dann: wird der sonnige saftige Wein an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken - dann wird der letzte Mensch, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen.

All dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn -- wenn -- wenn ihr nicht NEIN sagt.

 

Lasst uns Fürbitte halten: Gott, du Quelle des Lebens, wir danken dir, dass du uns eine Zukunft verheißt, in der Schwerter zu Pflugscharen werden sollen. Aus militärischen Machtmitteln werden Werkzeuge zur Bekämpfung des Hungers. Die Besitzgier Einzelner wird überholt durch die Teilhabe aller an den Gütern der Erde. Gib, dass sichtbare Schritte auf dein Reich hin bei uns Gestalt annehmen.

Wir bitten dich für alle Menschen, die von gewaltsamen Auseinandersetzungen betroffen sind. Du willst unser Ja zum Leben für eine Welt, in der die Wunden der Gewalt heilen können. Gib uns die Fähigkeit, Fäuste zu öffnen.

Lass uns einen klaren Standpunkt beziehen, damit nicht unser Schweigen lebensfeindliche Handlungen oder Verhältnisse bekräftigt. Lass uns das Wohl deiner Schöpfung und der Generationen nach uns nicht aus dem Blick verlieren und stärke uns in der Bereitschaft, deinen Frieden auszubreiten.

Durch Jesus Christus.

Amen

 

Vater unser + Segen

 

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Nachträglich noch zwei Bilder zum kommenden Sonntag:

Sicherlich sehr interessant, auf diesem Weg etwas über die Dorstener Geschichte zu erfahren:

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