Törchen Nr. 1

Ein Lied dazu » "Wir sagen euch an den lieben Advent" (1. Kerze)

(gefunden bei: www.youtube.com)

 

Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Petrinum haben in einem Adventsgottesdienst definiert, was A-D-V-E-N-T bedeutet:

Ich bin das

A wie Ankunft.

Das Wort läßt sich zurückführen auf das lateinische Verb „advenire“. Ankommen wird im Duden so erklärt: Einen Ort erreichen, an einem Ort antreffen. Aber ist „Ankommen“ nicht viel mehr? Ankommen heißt doch auch: empfangen werden, erwartet werden. Wer erwartet mich, wenn ich unterwegs bin? Bin ich willkommen oder eher ein ungern gesehener Gast? Und mit welchen Erwartungen empfange ich meine Gäste? Wenn ich willkommen bin, fühle ich mich wohl. Ich möchte, dass sich meine Gäste auch wohl fühlen.

A wie Ankunft. Wir warten auf die Ankunft Jesu. Weihnachten kommt Gott in Jesus zu uns in die Welt. Heißen wir ihn willkommen!
JESUS KOMMT ZU UNS

Eine Andacht
Von Bethlehem über Goritzky nach Dorsten

Sie liegt schon lange zurück, meine Flußkreuzfahrt von Moskau nach St. Petersburg. Nach drei Tagen im prachtvollen Moskau legte das Schiff ab und schipperte über die zahlreichen Flüsse, Kanäle und Seen Richtung Norden. Ich war überwältigt von der Weite und Wildwüchsigkeit der Natur. Nach zwei Tagen Fahrt durch diese - zumindest scheinbar unberührte - Landschaft legt das Schiff in Goritzy an. Es ist ein kleiner Ort. Russische Provinz, so wie ich sie mir vorgestellt habe.

Das Hafengelände, d.h. der Holzsteg - aus viel mehr bestand der Hafen nämlich nicht - ist notdürftig repariert. Die Straße - eine Schotterpiste mit tiefen Schlaglöchern. Alte zerfallene Holzhäuser, z.T. ohne Strom und Wasser. Vor wenigen Häusern sieht man mal ein uraltes Auto oder Motorrad und ich frage mich, ob diese Fahrzeuge überhaupt noch fahrtüchtig sind. Alte Menschen sitzen vor ihren Häusern und stieren ins Leere. Ich glaube in ihren zerfurchten Gesicherten ihre wechselvolle schwere Lebensgeschichte ablesen zu können. Zwei Männer in zerissener Kleidung kommen mir entgegen und betteln um deutsches Geld. Ich gebe ihnen etwas. Erst als sie an mir vorbegezogen sind, rieche ich die starke Alkoholfahne, die sie schon am frühen Morgen hinter sich herziehen.

Alles erscheint in diesem Ort alt, trostlos und kaputt. Ein vergessener Ort, vergessene Menschen. Ich gehe weiter in Richtung Kirche, die früher mal zu einem Kloster gehörte. Stolz ragen die Zwiebeltürmchen in die Luft und scheinen dem Zerfall zu trotzen. Dem Zerfall. Es läßt sich nicht mehr ausmachen, welchen Anstrich diese Kirche zuletzt hatte. Die Fenster sind z. T. mit Brettern zugenagelt. Durch andere Fensteröffnungen kann man ins Kircheninnere klettern, wenn man das Risiko eingehen will, von herunterfallendem Putz getroffen zu werden. 70 Jahre Kommunismus haben hier ihre Spuren hinterlassen.

Woran glauben die Menschen hier, arm, alt und arbeitslos? Auf was hoffen sie, hoffen sie überhaupt? Frage ich mich, während ich einen Blick ins Kircheninnere werfe. Überall liegt Schutt. Sind ihre Träume auch verschüttet? Betroffen gehe ich um die Kirche herum. An der Außenmauer lehnt eine Leiter. Ich blicke nach oben und sehe, dass das Dach notddürftig repariert ist. Neugierig gehe ich weiter und lande im ehemaligen Klostergarten. Da sehe ich, wie ein Mann, Mitte 50, versucht, in den verwilderten Garten Ordnung zu bringen. Ich spreche ihn an.

Er baue Kartoffeln an, sagt er im gebrochenen Deutsch. Er habe kein Geld, welche zu kaufen. Der Boden sei schlecht, aber vielleicht klappt es ja trotzdem. - Nein, er wohne noch nicht lange hier. Er kommt eigentlich aus dem Nachbarort. Doch da habe er keine Arbeit gehabt. Dann habe er hier welche gefunden, in der Uhrenfabrik, aber Lohn habe er schon lange keinen mehr gesehen.

Wie er damit fertig werde?

Die Hoffnung, sagt er, gebe er nie auf. Er ist voller Zuversicht, dass es irgendwann besser gehen werde, und wendet sich seinem Acker zu. Was ich tun kann, tu ich. Aber es liegt halt nicht alles in meiner Hand. Ob die Kartoffeln dieses Jahr etwas werden, liegt nicht nur an mir, sondern auch an dem da, sagt er und wirft einen Blick auf die alte zerfallene Kirche.

Unser Gespräch dreht sich nun um die Russische Frömmigkeit und die Kirche. Lange Zeit konnte er nicht viel damit anfangen, murmelt er. Bis er, ja bis er in diesen Ort gekommen ist. Da brauchte er eine Wohnung. Aber es gab keine. Da sei er ins Kloster gezogen und weist auf das alte Gebäude, das eher einer Ruine als einem Kloster gleicht. An zwei Fenstern hängen Gardinen. Hier habe er sich eingerichtet und eine Heimat gefunden. Eine Heimat bei Gott, lacht er und wird plötzlich ernst.

„Er ist mir hier nahe“, sagt der Mann. „Seit ich hier wohne, ist mit erst so richtig bewußt geworden, was Glauben bedeutet.“ Er schaut mich an und seine Augen sagen mir, was für ihn Glauben bedeutet: Glauben, das bedeutet: Sich nahe fühlen bei Gott, sich von ihm getragen und geschützt fühlen. Glauben bedeutet, ganz fest darauf zu vertrauen, dass Hoffnungen in Erfüllung gehen. Der Mann wendet seine Augen nach unten und stochert liebevoll in seinem Acker herum. Meine Blicke fallen auf den Boden. Zarte hellgrüne Triebe sprießen aus dem Boden hervor. Zeichen des Neubeginns, Zeichen des Lebens, Zeichen der Hoffnung. Glauben sagt er, habe er bei einigen Menschen hier kennengelernt. Er sei hier damals freundlich aufgenommen worden. „Wir helfen uns gegenseitig und sind eine Gemeinschaft. - Gott hilft uns, und wir helfen Gott“. Stolz erzählt er von der Kirchendachreparatur, die er und andere Männer aus dem Ort vorgenommen haben.

Inzwischen sind andere Schiffspassagiere in den Klostergarten gekommen. Es wird unruhig und ich verabschiede mich von dem Mann. Er wünscht mir Gottes Segen, ich erwidere ihn und mache mich auf den Weg zurück zum Schiff.

Plötzlich sieht der Ort ganz anders aus. Die alten Holzhäuser scheinen mehr Farbe bekommen zu haben; mir fallen die Kinder auf, die lachend über die Straße laufen. Die alten Menschen auf der Bank blicken mich freundlich an. Nicht nur der Mann und die Bewohner des kleinen Ortes haben eine Heimat bei Gott gefunden, sondern Gott hat auch eine Heimat bei ihnen gefunden.

Als das Schiff seine Reise fortsetzt, stehe ich am Heck und schaue zurück auf den kleinen Ort Goritzy. Die zahlreichen Zwiebeltürmchen der Kirche scheinen nicht nur dem Zusammenbruch des Bauwerks zu trotzen, sondern auch dem Zusammenbruch der Hoffnungen, der Zuversicht. Der Zuversicht, dass da jemand da ist, dass Gott da ist, bei dem wir Schutz finden, zu dem wir jederzeit kommen können mit unseren Sorgen, Zweifeln, und Hoffnungslosigkeit.

Eine Heimat haben bei Gott. Der Mann hat sie gefunden. - Dass wir uns dieser unserer Heimat immer erinnern, wenn uns alles auswegslos erscheint, das wünsche ich uns allen. Jesus Christus hat uns den Weg zu dieser unserer Heimat bereitet, auf die wir zugehen. Er ist nicht nur in Bethlehem geboren, sondern auch in Goritzky, in Dorsten und überall auf der Welt. Er ist unser Wegbegleiter, dem wir uns anvertrauen können, weil er nicht möchte, dass wir uns verlaufen.

Er ist der Weg.

 

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