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einwort ist das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop. Für jede Ausgabe wählen wir ein Wort, dessen Breite und Länge und Tiefe und Höhe wir ausloten. Wir glauben, dass ein Wort die Seele gesund machen kann. Auf der Suche nach den richtigen Wörtern erzählt einwort von Gott und der Welt. Denn am Anfang von allem war das Wort, und das Wort war bei Gott.

Wir haben ein Organ für Sie!

von Ev. Kirchengemeinde Bottrop

Wer ein Spenderorgan benötigt, wartet
mitunter viele Jahre, egal wie dringend es ist.
Rund 10 Prozent der Wartelistenpatienten
sterben während dieser Zeit – jedes Jahr.
Bernd Rehfäuter hatte Glück.


In Deutschland gibt es fünf Transplantationszentren, die alle soliden Organe (Herz, Leber, Lunge und Niere) verpflanzen können. Eins davon befindet sich in Essen. Dr. Ebru Yildiz (43) ist die Geschäftsführerin des Westdeutschen Zentrums für Organtransplantation, das in der weitläufigen Uniklinik verortet ist. „Als Transplantationsbeauftragte kümmert man sich hier um den organisatorischen Prozess einer potenziellen Organspende, bis zur Explantation des Organs, also der Entnahme selbst”, erklärt Yildiz. Sie ist europaweit aktiv, spricht auf Kongressen und ist eine wichtige Netzwerkerin zwischen ihrem Zentrum, der Deutschen Stiftung Organtransplantation und der internationalen Vermittlungsstelle für die Organspende Eurotransplant. Aber sie entnimmt keine Organe.

Dramatische Kettenreaktion

1989 tauchte das erste Nebenschilddrüsenkarzinom bei Bernd Rehfäuter auf. Dieser Krebs gehört zu den seltensten Tumorerkrankungen überhaupt, entsprechend rudimentär war das medizinische Wissen darum. Die erste Operation hat dann direkt einen Nerv an Rehfäuters Stimmlippe zerstört. Damit war zwar der Tumor weg, aber auch die Stimme. Bis heute spricht der Bottroper angestrengt, leise und heiser. Wäre das bloß alles. 1991 tauchte an derselben Stelle das erste Rezidiv auf, also ein erneuter Krebsbefund. Wieder eine Operation. 1993, 1995, 1998, 2001, 2005 … jeweils neue Rezidive, jeweils eine OP. Rehfäuter zählt diese Befunde beinahe mechanisch nüchtern auf und erlebte doch mit jeder Diagnose einen massiven Rückschlag, neue Angst und eine schwindende Hoffnung. Seit 2005 ist nun Ruhe. Leider produziert die Nebenschilddrüse auch das Parathormon, das den Kalziumhaushalt im Körper regelt. Durch den Krebs war dieser Hormonwert jahrelang zu hoch, worauf der Körper Kalzium aus Knochen und Zähnen abbaute und so dafür sorgte, dass die Organe verkalkten. Ab 2004 waren Rehfäuters Nieren endgültig zerstört und führten ihn ab sofort dreimal wöchentlich für jeweils vier Stunden zur Dialyse. Und nun? Eine Transplantation kommt grundsätzlich erst in Frage, wenn der Patient/die Patientin mindestens fünf Jahre krebsfrei ist. Rehfäuter wartete. Bis 2013. Als er mit seinem Hund spazieren ging, kam der Anruf: „Herr Rehfäuter, wir haben ein Organ für Sie!”


Mächtiges Organdefizit

Rund 8.500 Menschen warten allein in Deutschland auf ein Spenderorgan – die meisten hoffen auf eine Niere. Im Jahr 2021 gab es aber bundesweit nur 933 Organspender:innen, die zusammen 2.080 Organe spendeten, während 4.600 weitere Patient:innen auf die Warteliste kamen. Es ist ein grausames Dilemma zwischen realer Hoffnung und brutalen Zahlen, weil es zu wenig Organspender:innen gibt. In Deutschland sind es gerade einmal 11,2 Personen auf eine Million Einwohner:innen. In Spanien sind es immerhin 40,02 Menschen auf eine Million Einwohner. „Die größte Sorge haben die Menschen, dass sie mit einem solchen Ausweis im Notfall nicht richtig behandelt werden. Das ist aber ein Trugschluss. Jeder wird mit maximaler medizinischer Sorgfalt behandelt. Sollte es dennoch zu einem irreversiblen Hirntod kommen, können Organe nur dann transplantiert werden, wenn der Körper vorher maximal versorgt wurde. Jede reduzierte Versorgung würde die Entnahme sofort ausschließen”, erklärt Yildiz. So absurd es klingen mag: Nur bestversorgte Menschen werden letztlich zu Organspender:innen.

Sie funktioniert!

„Als der Anruf kam, ging ich nach Hause und schrieb meiner Frau: ‚Schatz, ich habe den Anruf bekommen. Wir treffen uns in der Klinik.‘ Den Zettel hat sie heute noch.” Rehfäuter fuhr am 11. September 2013 zur Uniklinik nach Essen, musste erneut an die Dialyse, und dann ging es los. In der etwa 3-stündigen Operation wird die Spenderniere meistens im Unterbauch eingesetzt, die beiden verkümmerten Nieren verbleiben im Körper. Später weist der Bauch durch das zusätzliche Organ eine sichtbare Wölbung auf, schließlich ist die neue Niere etwa handflächengroß und bis zu fünf Zentimeter dick. „Nach der OP dauert es etwas, bis die neue Niere anspringt”, erklärt er. So war es auch: Nach der geglückten OP gehörte die Dialyse der Vergangenheit an, die neue Niere funktionierte tadellos. Und was die wenigsten wissen: Funktionieren die Nieren nicht, kann man auch nicht mehr urinieren. Die häufige Dialyse reguliert also auch den Wasserhaushalt im Körper. Nach vielen Jahren konnte Rehfäuter also endlich wieder so viel trinken wie er wollte und normal zur Toilette gehen. „Auch wenn es banal klingt: Eine der größten Einschränkungen war die geringe Trinkmenge am Tag, von maximal einem Liter Wasser. Man hat praktisch immer Durst. Jahrelang.”

Langlebige Hoffnung

Ein Jahr nach der Operation funktionieren von 100 transplantierten Nieren noch 85. Fünf Jahre später arbeiten noch 75 der Spenderorgane. „Die älteste Spenderniere, die ich kenne und die immer noch funktioniert, ist so alt wie ich selbst: 43“, erklärt Yildiz. Die Niere ist übrigens auch das am häufigsten verpflanzte Organ, gefolgt von Leber, Lunge, Herz und Pankreas. Und nach der erfolgreichen Transplantation? Das Zentrum verpflichtet sich, die Patient:innen lebenslang zu begleiten. Anfangs sehr engmaschig, mit zunehmender Zeit immer großzügiger, aber mindestens einmal jährlich. Es ist sicherlich ein besonderes Gefühl, einem schwersterkrankten Menschen ein neues Leben zu schenken. „Alle Patient:innen empfinden eine große Dankbarkeit, und ich kenne auch einige, die den Tag der Transplantation wie einen zweiten Geburtstag feiern und dem neuen Organ sogar einen Namen geben.”

Gespräche mit der Niere

Auch Bernd Rehfäuter hat seiner Niere einen Namen gegeben. Einen, den er aber nicht verrät: „Das ist mir zu intim.”- Manchmal spricht er sogar mit dem fremden Organ, das längst zu seinem wurde: „Die Niere habe ich ja von einer Person bekommen, die mal gelebt hat. Und manchmal möchte ich ihr meine Dankbarkeit ausdrücken, dann sage ich ihr das auch.” Neben all der wissenschaftlichen Einrahmung im beinahe sterilen Klinikbetrieb kommt schließlich auch Gott in seinen Worten vor. „Ihm habe ich so oft danke gesagt, auch wenn ich den Gedanken an etwas Göttliches so unfassbar finde und eigentlich nicht daran glaube. Dennoch war es mir ein Trost, mich an ihn zu wenden.” Das fremde Organ arbeitet, der Krebs scheint besiegt. Es ist Zeit zu leben.

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